Tresco
Ich wache früh auf und bin völlig überrascht: Draussen ist die Welt grau und es nieselt. Alles ist Nass und vom entzückenden Eindruck, der mich gestern so begeistert hat, ist nicht viel geblieben. Für heute ist eine Bootsfahrt nach Tresco geplant, aber bei diesen Bedingungen macht ein Besuch von einem der schönsten Gärten Englands, wohl keinen grossen Sinn. Ich rapple mich dennoch eine Stunde vor dem Frühstück auf und möchte trotz widrigem Wetter einen kleinen Spaziergang zu einem Cache machen, deren Challenge es ist, alle grossen Inseln der Scilly’s zu besuchen. Ohne Kapuze und Regenjacke gehts trotz des nur feinen, typisch englischen Sprühregens dann doch nicht. Als ich draussen vor dem Haus stehe, ist alles aber nur halb so wild. Die Temperatur trotz allem erstaunlich mild und der Nieselregen reicht nur kaum zum nass werden und so geniesse ich diese spezielle Stimmung fast für mich allein. Touristen sind um diese Zeit noch keine unterwegs. Ich spaziere auf den östlich von Hugh Town gelegenen Hügel, wo noch eine gut erhaltene alte Festungsanlage aus dem ersten Weltkrieg steht. Ein toller Weg, mit herrlichen Aussichten auf Hugh Town und den Badestrand Porthcressa Beach. Am südlichen Woolpack Point finde ich dann das Gesuchte und drehe wieder um. Es ist herrlich ruhig und nur ein paar einheimische Jogger begegnen mir. Man merkt, dass die Engländer was das Wetter betrifft einiges abgebrühter sind als wir. Zumindest an diesem Morgen treffe ich nur auf Jogger in Shorts und Shirts. Ein Regencape hat keiner an. Ich habe das Gefühl, dass ein solches Geniesel von denen Inselbewohnern ganz einfach ignoriert wird.
Fast pünktlich bin ich dann wieder in unserer Unterkunft zum Frühstück zurück. Aussen nicht richtig nass, innen aber zünftig verschwitzt. Dave, unser Hausherr, ein freundlicher und sehr humorvoller Engländer bringt uns das Frühstück. Jeder hat seine Wünsche am Vorabend auf einem Zettel notiert. Das Full-English-Breakfast habe ich wie bereits erwähnt, auf ein Spiegelei mit gebratenem Schinken zurückgefahren. Dazu gibts natürlich wie immer verschiedene Cereals, Toast und Marmelade, Joghurt und frische Früchte. Alles ist sehr liebevoll hergerichtet und es ist eine Freude sich hier zu bedienen. So ein Frühstück ist der perfekte Start in einen neuen Tag. Besser, als sich gefühlt zwei gefüllte Esslöffel Fett und Öl in den Magen zu spülen.
Kurz nach halb neun stolpert dann Joe in die Stube und erklärt uns, wann welche Fähren zu welchen Inseln fahren. Dank seinem Tipp entscheiden wir uns, nicht wie geplant direkt nach Tresco zu fahren, sondern verbinden die Überfahrt mit einer etwas weiteren Rundtour mit Seehund- und Puffin-Watching. Bevor wir noch weitere Fragen stellen können ist Joe von der Boatsman Association aber bereits wieder aus der Stube gehuscht. Dafür steht uns Dave stets mit einem lustigen Spruch zur Seite und beantwortet all unsere Fragen. So erfahren wir, dass die Hinfahrt nach Tresco normalerweise 20 Minuten, die Rückfahrt allerdings nur 10 dauert … weils bergab geht ;-) Ich rätsle noch lange herum, ob der Spruch mit Ebbe und Flut zu tun hat, oder ob es einfach ein Spässchen für uns Alpenländer war. Aber Dave kann natürlich auch seriös und hat auf alle unsere Fragen eine Antwort parat. So erfahren wir wie die Inselbewohner im Winter ohne die Fähre klar kommen. Er erzählt, dass dreimal die Woche ein Frachtschiff die Insel mit allem nötigen versorgt, ansonsten die Bewohner im Winter aber nur mit dem Flieger von der Insel wegkommen. Ich nehme mal an dass zwischen den Inseln der Bootsverkehr auch im Winter möglich ist, aber die Überfahrt aufs Festland für viele kleine Boote wohl zu riskant ist. Weiter möchten wir wissen, wie die prekäre Wassersituation hier gemanaged wird und erfahren, dass in einem normalen Sommer ca. 40% des Trinkwassers Grundwasser ist und die restlichen 60% mit einer Entsalzungsanlage gewonnen werden. Da im Moment auch auf den Inseln extreme Wasserknappheit herrscht und der Wasserverbrauch stark reglementiert ist läuft die Entsalzungsanlage auf 100%, was für die Anlage nicht sehr gut sei. Ich finds spannend, was für Dinge auf so einer Insel relevant sind und direkten Einfluss auf den Alltag haben.
Nach dem Frühstück haben wir dann genügend Zeit, da unser Roundtripp erst um viertel nach Elf startet. So versuche ich mit Barbara noch einen Cache zu lösen, der uns wegen einer etwas eigenartigen Beschreibung mehr verwirrt, als zum Ziel bringt. Mami und Brigitte verlieren wir im von Touristen überfluteten Städtchen dann auch noch, aber wir wissen ja, wann und wo wir aufs Boot müssen. In der Bucht hat heute ein grosses Kreuzfahrtschiff festgemacht und spuckt noch ein paar Hundert Touristen mehr auf die Inseln. Morgens ist um diese Zeit aber eh immer viel los, da die meisten Gäste zum Quai und den Fähren strömen, um auf die anderen Inseln zu gelangen. Gegen Elf trifft sich dann unser Grüppchen wieder und so geht die Reise auf dem aus meiner Sicht etwas sehr grosszügig gefüllten Boot los. Inzwischen hat sich auch die von Dave versprochene Wetterbesserung eingestellt und bei Sonnenschein und blauem Himmel fahren wir los.
Die Zusatzschlaufe ist einiges länger, als wir erwartet haben. Die Reise nach Tresco dauert anstelle der üblichen 20 Minuten fast eine Stunde länger. Es ist aber ein sehr lohnender Ausflug. Die See ist relativ ruhig und der Bootsführer fährt zuerst an Samson eine nicht mehr bewohnten Insel vorbei. Weiter folgen dann viele kleine Inselchen und oft ragen auch nur ein paar Felsspitzen aus dem Wasser heraus. Über ein etwas krächzendes Lautsprecherchen, erklärt er in einem auch für mich einigermassen verständlichem Englisch das rundherum und hält die gwundrigen Bootsgäste up-to-date, sobald Seehunde, Seelöwen und natürlich die putzigen Puffins irgendwo zu sehen sind. Wir hätten nicht erwartet überhaupt ein Puffin zu sehen, denn wie uns gesagt wurde ziehen diese Vögel in der Regel Ende Juni von den Scillys wieder weiter. Die «Ausbeute» für uns Fotojäger ist trotz allem gut, die Sujets verzücken mich, seinen es Felsformationen oder Seelöwen und Seehunde. Für Nahe Tieraufnahmen reicht aber der Zoom meiner neuen Reisekamera nicht. Dafür hab ich mein Fernglas dabei und erhasche damit den einen oder andern nahen Blick. An einigen für den Bootsführer bekannten Spots fahren wir dann auch mal recht nahe an die Tiere heran, müssen uns dabei aber brav und ruhig verhalten, damit wir nicht stören. Dann geht die Fahrt weiter. Wir umfahren praktisch ganz Bryher und kommen dann am King Charle’ Castle zwischen den beiden Inseln ans Quai von New Grimsby auf Tresco.
Gegen halb Eins gehen wir von Bord und entschliessen uns, erst mal ein Restaurant zu suchen um Mittag zu essen. Tresco liegt nordöstlich von St Mary’s und ist die zweitgrösste Insel der Scillys. Barbara sagt uns, dass es auf Tresco eine feine Pizzeria geben soll, die wir auch prompt auf der Karte finden, die beim Hafen in einer Vitrine zum mitnehmen aufliegt. Das Restaurant liegt zwar auf der anderen Seite der Insel aber Tresco ist hier keinen Kilometer breit und gemäss Wegweiser ist Old Grimsby in einer viertel Stunde zu erreichen. Diese Zeitvorgabe schaffen wir nicht ganz, da wir alle von der Landschaft hier dermassen überwältigt, dass jeder von uns alle paar Meter wieder stehen bleiben muss, um ein Foto zu knipsen, oder ganz einfach die Umgebung zu geniessen. Je näher wir der gegenüberliegenden Bucht kommen, umso surrealer und kitschiger wird das Ganze. Wunderschön herausgeputzte Steinhäuschen umrahmt von kleinen Vorgärtchen und überall prall blühende Schucklilien. Dahinter öffenen sich Buchten mit weissem Sand, im Hintergrund kleine grüne Inseln als Farbtupfer im tief blauen Meer. Karibik-Feeling kommt auf. Ich kann mich kaum satt sehen, an dem was die Natur hier geschaffen hat.
Das Restaurant entpuppt sich dann gleich selber noch als Hingucker und bietet mit einer wunderschön hergerichteten Terrasse einen einmaligen Blick über die Bucht. Wir bestellen zwei Pizzen und einen grossen Salat und teilen alles unter uns Vieren auf. Das Essen ist lecker, der Salat jetzt nicht ganz so meins, aber nicht weil er nicht gut wäre, sondern weil mir die Gewürze nicht schmecken die verwendet wurden. Das Ambiente im quirligen Restaurant ist so relaxed. Ein junges und motiviertes Team wirbelt um die Tische. Jeder ist freundlich und trägt ein lächeln im Gesicht. Eigentlich kein Wunder, wenn man hier im Paradies arbeiten darf. Wenn man von diesem Ort jemandem Fotos zeigen würde, würde ich viel Geld darauf verwetten, dass der oder die Gefragte diese Location niemals in England vermuten würde. Kurz gesagt: Dieser Ort ist ganz einfach nicht von dieser Welt, Punkt!
Unser Tagesziel, der Abbey Garden ist noch weit entfernt. Als wir mit dem Essen fertig sind ist die Zeit schon weit vorgerückt. Es ist bereits 14 Uhr durch, als wir uns auf den Weg machen. Wir müssen die Insel nochmal überqueren um zum Garten zu kommen. Auf der kleinen Anhöhe erwarten uns wieder Ausblicke der Sonderklasse. Dahinter kommen wir an einem hübschen See vorbei, der für seine Vogelvielfalt bekannt ist. In einem weiten Bogen nähern wir uns dann dem Eingang des Gartens, entscheiden uns aber, die 15 Pfund Eintritt für die verbleibende Stunde nicht mehr zu investieren und lieber Morgen mit dem ersten Boot nochmal herzukommen, um uns für den Garten so viel Zeit zu nehmen, wie wir möchten. So spazieren wir dann gemütlich zum Quai zurück, wo wir am Morgen angekommen sind und schon einige Leute auf die Boote warten. Das Inselhopping ist perfekt organisiert und die Boote fahren sehr pünktlich. Bei zu grossem Andrang steht jeweils gleich ein zweites Boot bereit und das Erste legt wenn es voll ist, auch gerne mal zehn Minuten früher ab. So kann auch das Ersatzboot den Fahrplan einhalten und niemand braucht Angst zu haben, nicht mehr nach Hugh Town zurück zu kommen. Immer wieder trafen wir auf etwas nervöse Gäste, die meinten, dass ihre Freunde oder der Rest der Gruppe auf dem anderen Boot seien, sie aber alle Tickets hätten. Die Bootjungs reagierten hier immer super entspannt und meinten, dass das alles ok sei und sie nur Bescheid sagen müssten. Ich liebe solche Erlebnisse. Man merkt, dass man hier einander noch vertraut und alles so wunderbar unkompliziert abläuft.
Zum Abendessen haben wir nur ein paar Hauseingänge neben unserer Unterkunft im Bell Rock Hotel einen Tisch reserviert. Der Speisesaal ist zwar recht edel eingerichtet, wirkt aber trotz allem etwas steif. Trotzdem ein Ort, wo man sich sofort wohl fühlt. Der Kellner passt wunderbar in dieses Szenario. Er ist äusserst zuvorkommend und sehr freundlich, aber wie die Einrichtung auch etwas «ungelenk» ;-) Als wir die Karte gereicht bekommen sind wir etwas überrascht, da es nur ein Menu gibt. Wenigstens kann man aus dem Dreigänger nach Belieben einen Zweigänger machen. Also entweder Vorspeise mit Dessert oder Hauptgang mit Dessert und wahrscheinlich hätte man auch Vor- und Hauptgang ohne Dessert bestellen können. So finden dann doch alle eine Kombination die ihnen schmeckt. Mich betrifft das zum Glück nicht, denn mich spricht wie gewohnt das ganze Menu an. So bin ich der einzige am Tisch der in die Vollen geht. Die Küche ist recht gut und wir geniessen den vorzüglichen Service. Durch die frühen Essenszeiten sind wir schon vor Zehn wieder im Hotel. Ich schmeiss mich müde aufs Bett, krieg aber auch nicht mehr viel gebacken.